Human Resources werden groß: Sichere Räume am Arbeitsplatz

Human Resources werden groß: Sichere Räume am Arbeitsplatz

Das Nichtkönnen fängt oft im Kleinen an – das Darüber-Sprechen auch. Und manchmal ist die Frage nicht, ob wir mit jemandem über unsere Schwierigkeiten reden, sondern mit wem. 

Vor ein paar Wochen rief mich eine Freundin an und klang reichlich zerknirscht. Sie hatte sich in einem ohnehin schon sehr unübersichtlichen Excel-Spreadsheet „irgendwie verklickt“ und nun waren ein paar Datensätze „irgendwo verschwunden“.  

Feindselige Software

„Let me google that for you“? So einfach macht es uns die digitale Office-Welt nicht immer. Oft geraten wir in Sackgassen, deren Ursprung wir nicht kennen. Wir finden nicht heraus, wenn wir mit den dahinter liegenden Konzepten nicht vertraut sind. Und unsere Kompetenzlücken werden sichtbar.

In einem Labyrinth aus voreingestellten Filtern und ausgeblendeten Spalten hatte meine Freundin die Orientierung verloren. Gemeinsam und mit der nötigen Ruhe war das Problem schnell behoben. Länger als das Excel-Sheet haben mich die Überlegungen beschäftigt, die sich an die Episode anschlossen. 

Wann offenbaren wir uns? Und wem?

Meine Freundin ist in einem großen Unternehmen angestellt. Weder bei der IT-Abteilung noch bei ihren Kolleg*innen wollte sie aber um Hilfe bitten. Stattdessen der zerknirschte Anruf bei mir – denn ich arbeite in einer anderen Organisation und wir kennen uns nur privat. Unser Gespräch machte ihr Problem in dem Raum, in dem es entstanden war, unsichtbar.

It’s not just for you, buddy

Das Bedürfnis nach Sicherheit ist bei jedem Menschen individuell stark ausgeprägt. Ob wir es schaffen oder es uns leisten können, unsere Schwächen zu offenbaren, hängt oft auch von der Position ab, in der wir uns befinden. Die Tatsache, dass wir in einem System arbeiten, in dem wir als „Human Resources“ bezeichnet werden, trägt in vielen Zusammenhängen nicht dazu bei, uns das Gefühl zu vermitteln, wir seien besonders handlungsfähig. 

Unsicherheiten und Lücken zu offenbaren ist für jede*n von uns ein komplexer Vorgang mit ebenso komplexen, manchmal unabsehbaren Konsequenzen. Aber es ist eben auch ein politischer Akt. Etwas, das wir nicht nur für uns selbst tun.

Human Resources werden groß

Wir wachsen in diese Arbeitswelt hinein und werden groß in ihr. Mit etwas Glück dreht sich das Kräfteverhältnis irgendwann um: Wir brauchen nicht mehr nur unseren Job, unser Job braucht auch uns. Dann, spätestens dann, haben wir die Chance, darüber nachzudenken, was es bedeuten könnte, sich für eine Arbeitswelt stark zu machen, in der wir einander offen begegnen können.

Macht sichere Räume auf

Wer derart fest im Sattel sitzt, hat weniger Grund, sich zu fürchten. Aber ist es wirklich klug, schon im Bewerbungsgespräch Schwächen einzuräumen? Und einmal in einem Unternehmen angekommen: Was wird mir passieren, wenn ich auf vielleicht überzogene Ansprüche an die Mitarbeitenden aufmerksam mache? Was, wenn ich befristet angestellt bin? Wenn die Führungskraft in meinem Team nicht hinter mir steht? 

Es gibt viele gute Gründe, still zu halten. Und es ist weder besonders weise noch damit getan, pauschal zu sagen: „Lasst die Hosen runter und steht zu euren Schwächen!“ 

Soll ich mich meinen Kolleg*innen offenbaren oder bleibe ich doch lieber in meinem privaten ‘Safe Space’? Vielleicht ist das nicht immer leicht zu entscheiden. Aber es gibt zum Glück noch eine dritte Möglichkeit, die uns immer offen steht. Wir können uns so verhalten, dass für die Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten, sichere Räume entstehen. 

Das Leben wird immer härter

Ich bin in meinem Alltag oft umgeben von Kolleg*innen, die diese Räume füreinander aufmachen. Wenn in einem meiner Excel-Spreadsheets ein paar Datensätze ‚verschwinden‘, ärgert mich das zwar, aber ich muss mich nicht schämen. Wir sind viele, eine*r von uns wird die Antwort kennen. 

In meiner Schulzeit klebte eine Postkarte auf einem meiner Kurs-Ordner. Darauf stand: „Das Leben wird immer härter – bitte schick Schokolade.“ Heutzutage denke ich manchmal: „Das Leben ist voller Spezialkram – bitte schick mir ausgeschlafene Kolleg*innen.“ 

Wer wollen wir sein?

Stehen wir als Führungskräfte für eine Teamkultur ein, in der Kooperation und Fairness belohnt werden? Oder glauben wir daran, dass Kompetenzgerangel Stärken hervorbringt und Hierarchiehörigkeit noch niemandem geschadet hat?

Greifen wir einander als Kolleg*innen unter die Arme, wenn wir Hilfe brauchen? Oder sind wir insgeheim froh, wenn jemand nicht so schnell, schlau, wendig-digital, kompetent ist, wie wir dachten – weil wir immerhin hier mal die Nase vorn haben? 

Für diese Haltung braucht es keinen unbefristeten Arbeitsvertrag und schon gar keinen Chef*innen-Sessel. Noch nicht mal sehr viel Mut. Ein bisschen Solidarität reicht schon aus.

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