Baby, think twice! Warum wir nach der Pandemie nicht einfach in unsere Büros zurückkehren sollten

Baby, think twice! Warum wir nach der Pandemie nicht einfach in unsere Büros zurückkehren sollten

Kaum eine Office-Jobgeschichte zur Pandemie kommt ohne eine Reflexion auf das „Arbeiten aus der Ferne“ aus. Die wenigsten ‚Büromenschen‘ waren vor der Krise daran gewöhnt, von zu Hause aus zu arbeiten. Wir stiegen täglich aufs Rad, ins Auto, in die Bahn und verbrachten Viertel-, halbe oder ganze Stunden mit Pendeleien. Dabei trennten wir fein säuberlich das Home vom Office.

Drei Erkenntnisse aus 13 Monaten pandemic remote work

Wenn die Prognosen richtig liegen, können wir in absehbarer Zeit in die Büros zurückkehren. Nur: wollen wir das überhaupt? Zwischen Kinderbetreuung, Languishing, Ängsten und sozialer Isolation halten wir seit Monaten unsere Organisationen am Laufen. Das ist nicht immer einfach. Aber ich habe in dieser Ausnahmesituation sehr viel gelernt über die Gelingensbedingungen von Arbeit und Zusammenarbeit. Zu meinen wichtigsten Erkenntnissen gehören die folgenden Punkte:

1. Von wo aus wir arbeiten, macht für viele von uns einen großen Unterschied. Deshalb sollten wir künftig die Wahl haben.

Wir sind nicht nur Arbeitskräfte. Wir sind eingebunden in vielfältige Zusammenhänge, haben Freund*innen, Familie, Freizeit. Wir kümmern uns, sind gern im Grünen oder brauchen zwischendurch einfach eine Pause. Das alles ist legitim und sogar wichtig. Oft lässt es sich hervorragend mit einem Büro-Präsenzjob vereinbaren, aber nicht immer. Wenn remote work uns das Leben leichter macht: Warum sollten wir es uns künftig noch schwer machen?

Es gibt Menschen, die nur im Großraumbüro denken können – mit noise cancelling headphones und bird song im Ohr. Andere sind zu Hause auf dem Balkon am produktivsten. Ich fühle mich bevormundet und festgebunden, wenn ich lange Zeit auf einen bestimmten Ort verpflichtet werde. 

Wir alle wissen selbst am besten, wo wir gut arbeiten können und was es dafür braucht. Wenn wir es nicht wissen, sollten wir die Möglichkeit haben, es herauszufinden. Für Unternehmen, die uns diese Freiheit geben, werden wir uns am leidenschaftlichsten engagieren.

2. Gute Führung ist gute Führung. Egal, wo wir sind.

Man kann viel darüber schreiben (und sich auch darüber streiten), was gute Führung ist. Für mich hat gute Führung mit Haltung zu tun. Gut geführt worden bin ich in meinem Leben von Menschen, die sich selbst hinterfragen können. Die ihr eigenes Ego nicht so wichtig nehmen. Und die ihre Aufgabe darin sehen, Räume zu eröffnen, in denen alle voneinander lernen können. Klare und transparente Kommunikation ist für mich ebenso zentraler Bestandteil guter Führung wie die Bereitschaft, unangenehmen Themen standzuhalten. 

Dafür braucht es Willenskraft und Empathie – aber nicht unbedingt räumliche Nähe.

3. Gute Teams leisten gute Arbeit. Online wie offline.

Neue großartige Teammitglieder ‚erkennt‘ man auch in Online-Bewerbungsgesprächen.  Wir haben mittlerweile fünf Mitarbeiter*innen unter pandemischen Arbeitsbedingungen eingestellt. Natürlich freue ich mich darauf, die Kolleg*innen bald auch einmal offline zu erleben. Aber weder das Sich-Kennenlernen noch das Miteinander im Team oder die alltägliche Zusammenarbeit müssen durch die räumliche Entfernung leiden.

Nahbarkeit und Verantwortungsbewusstsein sind (zwischen-)menschliche Qualitäten, die wenig damit zu tun haben, ob man ein digitales oder ein analoges Büro teilt. Oder anders ausgedrückt: Ob ich gerne und gut mit jemandem zusammenarbeite, hat rein gar nichts damit zu tun, auf welchem Weg wir kommunizieren und uns austauschen können.

Der Abschlussjahrgang

Kolleg*innen, mit denen wir in der Pandemie gut zusammengearbeitet haben: Sie werden irgendwann so etwas sein wie ein Abschlussjahrgang. Eine Gruppe Menschen, mit denen uns etwas verbindet, das sich nicht wiederholen lässt. Mit vielen Kolleg*innen habe ich eine sehr viel engere Beziehung, seit uns unser Alltag um die Ohren geflogen ist. Wir haben einander in Krisenzeiten erlebt. Das hat uns offener und zugänglicher füreinander gemacht. 

Mein Blick geht jetzt noch viel häufiger als früher durch Führungsebenen und Abteilungsgrenzen hindurch. Aus der Ferne wirkt die Pyramide flacher, und ich nehme sie nicht mehr so ernst. Wenn wir uns per Teams anrufen, erscheinen wir doch alle im gleichen viereckigen Kästchen.

Bloß nicht vom Regen in die Traufe

Ich möchte künftig die Möglichkeit haben, zu Hause zu arbeiten (oder eben nicht), wann immer dadurch mein Leben leichter oder mein Arbeiten produktiver wird. Denn das pandemische Eingesperrtsein hat mir auch deutlich vor Augen geführt, dass eine andere Art von Unfreiheit in vor-pandemischen Zeiten die selbstverständliche Regel war. Sie bestand in dem Automatismus, jeden Tag den Weg zur Arbeit zurückzulegen.

Fast alles klappt remote. Nur Abschiednehmen nicht

Nur eine Sache muss ich dringend noch vor Ort erledigen: Ich muss mich von Susanne verabschieden.

Wann immer uns jemand vor der Krise gefragt hat, wie wir eines Tages (in ferner Zukunft!) Susanne in den Ruhestand ziehen lassen würden, war klar, dass es ein großes Fest werden muss. Eines mit vielen Reden und noch mehr Tränen, mit sehr viel Dankbarkeit, Geschichten und Sekt, mit Umarmungen und gutem Essen. 

Das Ritual des Abschiednehmens gehört unglücklicherweise zu den Dingen, die sich nur sehr schwer ins Digitale überführen lassen. Wir haben unser pandemisches Bestes gegeben. Einige Kolleg*innen waren gemeinsam mit der Jubilarin im Verlag – verteilt auf verschiedene Büroräume, mit Masken und Abstand. Sie brachten im Wechsel ein Glas Champagner oder überreichten Geschenke. Die meisten von uns haben das Fest digital erlebt. Es gab Reden, es gab Sekt. Und natürlich auch Tränen. Aber die hat jede*r von uns im eigenen kleinen Teams-Viereck geweint.

Noch während der Feier haben wir deshalb Pläne für einen zweiten Abschied geschmiedet. Sobald es geht, treffen wir Susanne im großen Park neben dem Verlagsgebäude. 

Und irgendwann, Susanne: irgendwann auch noch mal auf einen Abschieds-Espresso im Büro, ja?

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Barbara

    Vielen Dank für Deinen interessanten Blog-Eintrag, liebe Anja. Manchem von dem was Du schreibst, kann ich komplett zustimmen. Anderem aber leider gar nicht. Deshalb muss ich mal einen kleinen Kommentar abgeben.
    In Deinem 1. Punkt schreibst Du: “Von wo aus wir arbeiten, macht für viele von uns einen großen Unterschied. Deshalb sollten wir künftig die Wahl haben.” Das wäre wunderbar, wenn das so wäre. Ich fürchte aber folgendes: wenn sich eine Mehrheit für das Homeoffice erwärmen kann, könnte es auch so aussehen, dass wir gar nicht mehr die Wahl haben, ob wir im Verlag oder zu Hause arbeiten wollen. Sondern, dass es auf’s Ganze gesehen wirtschaftlicher für den Verlag wäre, wenn wir gleich alle zu Hause bleiben. Das hätte, wie ich finde, verheerende Konsequenzen. Für mich ist die Arbeit im Homeoffice ein andauerndes Provisorium, bei dem ich mehr vermisse als gut finde, die sich negativ auf die Produktivität auswirkt. Und wie muss es dann erst für diejenigen sein, die zum Beispiel auf Grund ihrer Wohnsituation keinen eigenen Schreibtisch haben, sondern im Schlafzimmer oder am Küchentisch arbeiten müssen? Die gar keinen Arbeitsbereich ihr eigen nennen? Von den sozialen Kontakten, die ein Unternehmen auch zusammenhält mal ganz zu schweigen.
    Ganz ehrlich: ich fühle mich nicht bevormundet oder unfrei, wieder ins Büro fahren zu sollen. Denn das ist eine Wahl, die ich vor langer Zeit getroffen habe, als ich mich für einen Arbeitsplatz als Angestellte in einem Unternehmen entschied. Sonst könnte man ja auch selbständig und somit immer von zu Hause arbeiten. Das habe ich damals bewußt abgewählt.
    Was ich aber definitv nicht möchte, wäre eine Zukunft, bei dem jede zwar in ein Bürogebäude kommen darf, wann sie möchte. Aber statt meines festen Arbeitsplatzes finde ich dann nur noch einen kleinen Rollcontainer vor, der durch die Gegend geschoben wird. Damit muss ich mir in einem Großraumbüro irgendeinen leeren Tisch suchen und dort vor mich hin arbeiten. Nicht nur genauso einsam wie zuvor am heimischen Küchentisch, sondern eigentlich noch heimatloser, auch des Teams und des gemeinsamen Austausches und eines festen Ortes beraubt. Denn ich weiß ja gar nicht, wer wann wo zeitgleich sein wird. Oder noch schlimmer: wir können mit Kolleginnen gar nicht mehr gemeinsam vor Ort sein, weil womöglich der Tisch prinzipiell durch zwei geteilt wird und ich die Kollegin, mit der ich vorher täglich gearbeitet habe auf diese Weise gar nicht mehr sehen kann. In so einer Arbeitswelt ist es in der Tat egal, wo und mit wem ich wie arbeite. Die empfinde ich aber als wenig menschlich und eher unproduktiv. Der Mensch ist nicht nur ein produktiv-tätiges, sondern auch ein soziales Wesen und das hat sich durch die Pandemie mehr als bestätigt.

    1. Liebe Barbara, vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar!

      Ich kann mir den Verlag ganz ohne einen Ort, an dem man sich real treffen kann, auch nicht vorstellen. Deine Sorge, dass Organisationen Büroräume ‘knapper kalkulieren’ oder einfach ‘wegrationalisieren’ und sich also für gemeinsame Räume oder Arbeitsplätze generell einfach nicht mehr verantwortlich fühlen: Das wäre in der Tat eine sehr bedenkliche Entwicklung. Ich denke aber nicht, dass für uns diese Gefahr gerade besteht. Die Frage ist doch eher: Wie können wir Arbeitsplätze künftig so gestalten, dass wir alle einen Mehrwert daraus ziehen?

      In meiner Wahrnehmung folgt aus der Möglichkeit, den Arbeitsort bei Bedarf (und vielleicht phasenweise) flexibel zu wählen, nicht die Entwurzelung, die du beschreibst. In der Zeit, in der ich selbst hybrid arbeiten durfte (vor der Pandemie), habe ich Heimatlosigkeit und Vereinsamung wie ich sie aus deinem Text lese, nicht erfahren. Ich war jederzeit verbunden mit meinem Team und der Organisation, für die ich gearbeitet habe: remote oder eben direkt vor Ort. Was immer gerade vor dem Hintergrund meiner Aufgaben und dem Rest meines Lebens sinnvoller, praktikabler oder einfach schöner war.

      Die Frage ist, glaube ich: Wie gestalten wir Flexibilität, wenn wir die Möglichkeit dazu bekommen? Wie erschaffen wir Büroräume, in denen es nicht nur darum geht, Rollcontainer von A nach B zu schieben und stumpf vor sich hin zu arbeiten?

      Wenn ich darüber nachdenke, entstehen in meinem Kopf viele Ideen, bei denen niemand auf etwas verzichten muss, aber für alle mehr Gestaltungsspielraum rausspringt. Und bei denen wir vor allem soziale Wesen sein dürfen und bleiben. In den verschiedenen Lebenskontexten, in denen wir uns bewegen.

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