Meditation am Arbeitsplatz: Warum ich skeptisch bin – und trotzdem Hoffnung habe

Manche New-Work-Themen lösen Unbehagen bei mir aus. Ich feiere, wenn nachhaltige und verantwortungsvolle Unternehmen irgendwo im Fokus stehen. Ich bin glücklich darüber, dass „zur Arbeit“ gehen nicht mehr zwangsläufig bedeutet, hinter einer vermeintlich professionellen Fassade zu verschwinden. Aber wenn es um Meditation, Mindfulness oder Achtsamkeit in Zusammenhang mit unserem Arbeitsalltag geht, winde ich mich wie ein Aal. 

Heavy Meditator im Widerstand

Dabei meditiere ich mittlerweile selbst seit fast zehn Jahren. Das Sitzen auf dem kleinen schwarzen Kissen ist deshalb so ein wichtiger Bestandteil meines Tages, weil in dieser kurzen Zeit nichts passiert. Weil alles vorbeizieht. Emotionen und Gedanken, Schmerzen, Pläne, Ideen. Man übt beim Meditieren, nicht mit all diesen Dingen zu interagieren, sondern sie einfach in Ruhe zu lassen. 

So kommt vieles von allein ins Gleichgewicht. Sich zurückzunehmen, emotionale und körperliche Zustände wahrzunehmen und da sein zu lassen, ganz gleich, ob sie angenehm oder (sehr) unangenehm sind – das ist ein wertvolles Training für so ziemlich jede Situation, die mir im Alltag begegnet. 

Moyan Brenn (Lizenz: CC-BY 2.0)

Sitzenblieben in der Sinnkrise

From Business to Being“ heißt der Dokumentarfilm aus dem Jahr 2015, der die ganz große Geschichte von der Achtsamkeit in der Wirtschaftswelt erzählt. Ausgebrannte Manager*innen und Führungskräfte halten inne und fragen nach dem Sinn. Angeleitet werden sie dabei unter anderem von Jon Kabat-Zinn. Er hat in den 1980er Jahren einen Teil der buddhistischen Meditationspraktiken in sein (wirklich großartiges!) Programm „Mindfulness Based Stress Reduction“ (MBSR) übersetzt. In seiner Stress Reduction Clinic hat er mit diesen Achtsamkeitsübungen vielen Patient*innen geholfen. Von den MBSR-Kursen zum Achtsamkeits-Boom waren es dann nur noch ein paar Schritte. 

Achtsamkeit im Business

Ob Jon Kabat-Zinn sich das so gewünscht hat oder nicht – mittlerweile sind Meditation und Achtsamkeitkurse in vielen Unternehmen angekommen. Headspace und 7mind heißen die im deutschen Raum erfolgreichsten Meditations-Apps, die uns beim „Sitzenbleiben“ unterstützen wollen. Beide Programme bieten auch Übungseinheiten an, die dabei helfen, den beruflichen Alltag zu meistern. Meditiert wird in Start Ups, im Mittelstand und in größeren Unternehmen. 

Auf den ersten Blick scheint das eine gute Sache zu sein. Und vor allem bei jüngeren Organisationen wird die Verbindung von Arbeit und Achtsamkeit häufig in bester Absicht geknüpft: Es kann ja schließlich nur gut sein, wenn alle zwischendurch mal innehalten, man nicht atemlos von Meilenstein zu Meilenstein sprintet und vielleicht im Alltag etwas bewusster miteinander umgeht.

Meditationskurse statt nachhaltige Veränderung

Mein Unbehagen und meine Skepsis in Bezug auf Meditationen am Arbeitsplatz sind in den letzten Jahren trotzdem gewachsen. Denn Wirtschaftsorganisationen, die ihren Mitarbeitenden Meditationskurse anbieten, verknüpfen dabei unweigerlich von Anfang an – nun ja: die Meditation mit der Wirtschaft. Meditation wird zur Selbstoptimierung und zur Leistungssteigerung eingesetzt, auch dann, wenn es erst einmal ‚nur‘ darum gehen soll, das Stressempfinden der Mitarbeiter*innen zu senken.  

Dazu kommt: Wenn Organisationen das Stresslevel ihrer Mitarbeiter*innen senken wollen, sind Meditationskurse oft ihre erste Idee. In der Praxis bedeutet das aber nichts anderes, als dass die Verantwortung für das Stressempfinden individualisiert und auf den Schultern der Mitarbeitenden abgeladen wird. Anstatt die Strukturen zu verändern, in denen die Menschen arbeiten und die sie unter Druck setzen, gibt man ihnen Achtsamkeits-Tools in die Hand und hofft, dass so buchstäblich wieder mehr Ruhe einkehrt.

Meditation stärkt Unabhängigkeit

Ich bin ein Mensch, der meditiert – und als ein solcher gehe ich zur Arbeit. Profitiere ich am Arbeitsplatz von meiner eigenen Meditationspraxis? Sicherlich. An manchen Tagen profitiert davon sogar mein Unternehmen, weil mich der eine oder andere ‚Aufreger‘ weniger Kraft kostet. Meditation kann leistungsfähiger, kreativer und resilienter machen. An anderen Tagen ist es aber gerade meine Meditationspraxis, die mich dazu befähigt, Strukturen oder Entscheidungen kritisch zu hinterfragen. Dann bin ich Sand im Getriebe. Weil Meditation für mich immer auch einen Raum aufmacht, in dem Unabhängigkeit möglich wird.

Raus aus unseren Köpfen!

Organisationen, die ihren Mitarbeiter*innen Meditationskurse anbieten, in der Hoffnung, dass sie dann gesünder und leistungsfähiger werden, schmettere ich deshalb hiermit ein fröhliches „Obacht!“ entgegen: Was in den Köpfen von Meditierenden passiert, wie viel Freiheit, Selbstbestimmung, Glück oder Ruhe sie erleben und welche Schlüsse sie daraus ziehen – das alles liegt nicht in eurer Hand. 

Und vielleicht ist das der Moment, in dem sich neben meinem Unbehagen auch ein kleines bisschen Hoffnung breit macht.

Zum Einstieg ins Meditieren:

Jon Kabat-Zinn: Full Catastrophe Living. Using the Wisdom of Your Body and Mind to Face Stress, Pain, and Illness. (Achtung, die deutsche Version ist meiner Meinung nach keine gute Übersetzung!)

Ulrich Ott: Meditation für Skeptiker. Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst.

Oliver Wunderlich: Impetus – Einfach meditieren lernen (Podcast bei Audible).

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Barbara

    Liebe Anja, dem kann ich nur ein gleichfalls fröhliches ‚Genauso isses‘ zurufen! 120 % Übereinstimmung! 🙃

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