Radikal professionell: Warum wir Schwächen am Arbeitsplatz in den Fokus rücken sollten

Radikal professionell: Warum wir Schwächen am Arbeitsplatz in den Fokus rücken sollten

Zu sagen, dass man etwas nicht so gut kann: Ist das radikal? Mir kommt es in den letzten Tagen manchmal so vor. Schon als ich nach einem Titel für diesen Blog gesucht habe und um die ersten Feedbacks zu „Englisch fließend“ bat, hörte ich mehr als einmal: „Englisch fließend? Toller Titel. Kann ich auch nicht. Würde ich aber nie zugeben.“

Ich freue mich sehr über die vielen Reaktionen auf dieses Projekt. Und ich staune darüber, wie viele Menschen mir von ihrem Verhältnis zu den eigenen (oft angestrengt kaschierten) Schwächen im Berufsleben berichten. Das geschieht fast immer im Vertrauen, manchmal sind es beinahe kleine Beichten. Jedenfalls scheint mir die Last, die sich hinter den Geständnissen verbirgt, oft lang getragen. 

Wird kompliziert. Lieber die Klappe halten

Besonders viele Rückmeldungen habe ich zum Themenkomplex „Unternehmenssprache Englisch“ bekommen, der ja auch den Auftakt für dieses Blogprojekt geliefert hat („Englisch fließend: Editorial“). Wie also fühlen wir uns mit unserem angeblich so ‚fließenden Englisch‘? 

Some of us just don’t care, könnte man sagen. Gut so, finde ich! Viele der Gespräche, die ich in den letzten Tagen geführt habe, lassen aber auch auf ein eher gespaltenes Verhältnis zum Thema Unternehmenskommunikation schließen. „Ich weiche Situationen, in denen ich im Beruf Englisch sprechen muss, aus, wann immer es geht.“ „Ich lasse meine*n Kolleg*innen den Vortritt, die können das besser“, und: „Small Talk ist kein Problem, aber wenn es komplizierter wird, halte ich lieber die Klappe, das wird mir einfach zu schwierig.“

Wenn Unternehmen nichts unternehmen

Natürlich gibt es längst Organisationsentwickler*innen, HR-Menschen und Kommunikationswissenschaftler*innen, die sich mit dieser Frage beschäftigen. Im professionellen Sprechen über Unternehmenskommunikation existiert durchaus ein Bewusstsein dafür, dass auch Sprachbarrieren Teilhabe erschweren und im schlimmsten Fall ein Machtungleichgewicht entlang der Sprecher*innenkompetenzen entsteht.1 

Kaum etwas könnte grundlegender sein für gelingendes gemeinsames Arbeiten als die Sprachen, in denen wir uns verständigen. Trotzdem scheinen viele Organisationen nicht unbedingt aktiv mit dem Thema umzugehen. „Obwohl viele Arbeitgeber die Englisch-Wissenslücken bei Bewerbern und Mitarbeitern erkannt haben, unternehmen sie nur selten etwas dagegen.“2

Wie schwer sich Mitarbeiter*innen mit dem Sprechen der Zweitsprache tun, wird offenbar häufig unterschätzt (oder ignoriert). „Das Brisante daran: Solche Sorgen und Ängste schwelen auf persönlicher Ebene und sind damit für die betroffenen Mitarbeiter selbst gravierend.“3 

Was wir verlieren

Menschen, die sich fürchten, werden häufig still. Und versuchen, sich so unsichtbar wie möglich zu machen. Gefühle wie Scham und Furcht, die sich besonders im Arbeitskontext rund um (vermeintliche) Schwächen anreichern, sorgen dafür, dass kaum jemand zugibt, wenn er oder sie sich abgehängt fühlt.

Was aber verlieren Organisationen und Unternehmen, wenn beispielsweise sprachliche Defizite unsichtbar bleiben? In diesem konkreten Fall: eine große Zahl an sachkompetenten Sprecher*innen. Wir alle verlieren Stimmen und Ideen in einer Zeit, in der wir in vielen Kontexten jedes Hirn gebrauchen können.  

Radikal professionell

Vielleicht ist es in dem Leistungs- und Show-Off-System, in dem wir uns befinden, tatsächlich radikal, einen Mangel in Bezug auf eine angeblich selbstverständliche Kompetenz zuzugeben. Wir kehren damit in gewisser Weise die Regel des Diskurses um: Anstatt nur stolz auf das hinzuweisen, was wir können, deuten wir auch auf Bereiche, in denen wir Hilfe brauchen. 

Aber ist es nicht gerade verantwortungsvoll, nicht nur die eigenen Stärken herauszustellen, sondern auch Schwächen transparent zu machen? Und ist das nicht eigentlich sogar radikal professionell? 

Lösungen können wir erst finden, wenn wir akzeptieren, dass es das Problem gibt. Und wertschöpfendes Zusammenarbeiten ist nur möglich, wenn wir unsere eigenen Grenzen und die unserer Kolleg*innen oder Mitarbeiter*innen kennen.

Sprachliche Diversität anerkennen

Vielleicht hilft es, in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, dass mehr und mehr Unternehmen sich DEI-Themen widmen, also „Diversity, Equity and Inclusion“ ihre Aufmerksamkeit schenken. Das ist wunderbar. Aber wo wir schon mal dabei sind: Lasst uns doch mal schauen, wie wir mit der sprachlichen Diversität in unseren Organisationen umgehen und künftig umgehen wollen. 

Wie also können wir sicherstellen, dass die Sprachen und Formate, in denen wir miteinander kommunizieren, möglichst allen die Möglichkeit zur Mitgestaltung eröffnen?

Ideas, anyone?

1 André Schmidt-Carré: „Unternehmenssprache: In English, please!“ Human Resources Manager, 18.01.2019. / „Englisch als Arbeitssprache im Unternehmen: Von der Teeküche bis zum Besprechungsraum“. HR Perfomance. Netzwerk für digitale HR, 04.07.2018. / „Im Job fehlt es oft an Sprach-Know-how“. Personalwirtschaft, 26.07.2017.

2 „Im Job fehlt es oft an Sprach-Know-how“. Personalwirtschaft, 26.07.2017.

3 André Schmidt-Carré: „Unternehmenssprache: In English, please!“ Human Resources Manager, 18.01.2019.

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